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Chronologie einer Diskussion (Print version 2.0)

SW-Ergo-News 2003

Last modified: 2007-07-28

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Zusammenstellung und HTML: Herbert A. Meyer

schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Chronologie einer Diskussion

SW-Ergo-News - 1. Halbjahr 2003



SW-Ergo-News 1015
Torsten Gruchmann, 17.02.2003, Betreff: Frage: Glossar

Alle die, die sich auf dem Gebiet der Ergonomie und des HFE bewegen kennen vermutlich das Problem: Die Vielzahl von Fachbegriffen, von denen keiner die genaue Bedeutung kennt!

Joy of use, Ease of use, Bedienungsfreundlichkeit,ergonomics, HFE und usability….!!!

Gibt es hierzu eigentlich einen Glossar, welcher die Begriffe und die begrifflichen Unterschiede definiert??

Vielen Dank für jede Info!

Torsten Gruchmann


SW-Ergo-News 1027
Ahmet Cakir, 18.02.2003, Betreff: Re: 1015 Frage: Glossar

Torsten Grauchmann schrieb:
Alle die, die sich auf dem Gebiet der Ergonomie und des HFE bewegen kennen vermutlich das Problem: Die Vielzahl von Fachbegriffen, von denen keiner die genaue Bedeutung kennt!

Die kennen die Fachleute oft auch nicht, weil sie sich ständig wandeln. Ergonomie ist von der IEA definiert. Verstanden wird sie öfters anders, weil es keine "Ergonomen" gibt, sondern Leute, die sich mit Ergonomie mehr oder weniger intensiv beschäftigen.

Joy of use, Ease of use, Bedienungsfreundlichkeit,ergonomics, HFE und usability...!!!

"Joy of use" wird nie definiert werden können, weil mit Absicht diffus gewählt. Damit ist der Spaßfaktor gemeint, den man nur verstehen kann, wenn man sich intensiv damit beschäftigt. Ease of use und Bedienungsfreundlichkeit sind keine genormten Begriffe, weil ebenso diffus. Ergonomics ist von der IEA definiert. Normen wird man den Begriff kaum, weil Fachleute sehr unterschiedliche Dinge darunter verstehen. Usability ist in DIN EN ISO 9241-11 genormt.

Gibt es hierzu eigentlich einen Glossar, welcher die Begriffe und die begrifflichen Unterschiede definiert??

ISO/TC 159 Ergonomics hat eine Reihe von "Wörterbüchern" in Angriff genommen. Wir haben eines davon erstellt. Es enthält etwa 560 Begriffe in Deutsch Englisch und Französisch (sofern in den Normen verwendet). Die Datei ist in pdf erhältlich und ist in drei Sprachen indiziert. Da die Datei 2 MB groß ist, kann ich sie nur an den Anfrager schicken. Bitte melden.

Mit freundlichen Grüßen, Cakir


SW-Ergo-News 1030
Marc Hassenzahl, 24.02.2003, Betreff: Diskussion: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

liebe kollegInnen,

ich stolperte doch ein wenig über das folgende:

Ahmet Cakir schrieb:
"Joy of use" wird nie definiert werden können, weil mit Absicht diffus gewählt. Damit ist der Spaßfaktor gemeint, den man nur verstehen kann, wenn man sich intensiv damit beschäftigt.

das ist ja eine gewagte aussage. warum sollte man nach einiger zeit der diskussion nicht auch ein modell erstellen können, das den "spassfaktor" beschreibt UND messbar macht? mit usability hat es - nach einiger anstrengung - auch funktioniert. usability war ja früher auch mehr als diffus. es hat eine weile gedauert, bis sich ein allgemein akzeptierter begriff herausgebildet hat. und: usability kann man auch nur verstehen, wenn man sich intensiv damit beschäftigt! oder etwa nicht?

ein schritt in die richtung "nutzungsqualität" besser zu verstehen und zu diskutieren ist sicher das kommende buch: "Blythe,M., Overbeeke,C., Monk,A.F. & Wright,P. (in press)(Eds.). Funology: From Usability to Enjoyment. Kluwer Academic Publishers". es enthält sowohl theorien und konzepte, als auch methoden und fallstudien. bei allem geht es darum, genau das zu tun, was oben angezweifelt wird: eine vernünftige definition und operationalisierung des fun factors, joy of use oder wie man es auch immer nennen möchte!

grüsse aus darmstadt, marc hassenzahl


SW-Ergo-News 1035
Ahmet Cakir, 24.02.2003, Betreff: Re: 1030 Diskussion: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Lieber Herr Hassenzahl, liebe Kolleginnen und Kollegen

Usability kann man nicht nur dann verstehen, wenn man sich intensiv damit beschäftigt. Es hat nur sehr lange gedauert, bis die Fachleute verstanden haben, wovon sie reden, nämlich von Qualität. Usability ist eine besondere Form von Qualität, und mit dem Begriff Qualität haben sich viele Denker seit Demokrit beschäftigt. So etwa 2.500 Jahre und noch ein paar mehr. Daher kann man diesen Begriff dem Laien sehr schnell erklären, weil er dessen Bedeutung ohnehin kennt. Er weiß es nur nicht.

Anders erging es dem Wort "Benutzerfreundlichkeit", der einst den Platzhalter besetzt hatte, in dem jetzt usability sitzt. Man hätte ihn durch noch so viele Definitionen und Kongressbeiträge nicht zu einem Begriff machen können. Es war diffus, blieb diffus, und der einzige Fortschritt, den es zu vermelden hatte, war seine Entwicklung zum Neutrum, Benutzungsfreundlichkeit, womit die Geschlechterdiskriminierung aufgehoben wurde. Das aber war nicht die einzige Todsünde, die mit diesem Wort begangen wurde.

Dass usability verstanden werden kann, hängt auch damit zusammen, dass der Begriff zu einem Ingenieurskonzept getrimmt wurde. Selbst den Begriff satisfaction haben wir als "Zufriedenstellung" übersetzt und nicht als Zufriedenheit, weil man Zufriedenstellung gegenprüfen kann und Zufriedenheit nicht.

Ob Ingenieurskonzepte geeignet sind, einen Spaßfaktor begreifbar zu machen, braucht nicht bezweifelt zu werden. Es wäre so, als wenn sich Maschinenbauer an die Konstruktion von Damenhüten machen würden. Sie tun´s nicht, aus Klugheit! Selbst wenn das Konzept von Psychologen entwickelt werden würde, kann daraus etwas Ingeniuermäßiges entstehen, weil sich auch die Psychologie nicht von Gedankengängen des Herrn Descartes (Renatus Cartesius), des Vaters des Modernen Rationalismus, freimachen kann. Seine Vorstellung von der Aufteilung von allen Betrachtungsobjekten in orthogonale Faktoren, besser bekannt als kartesische Koordinaten, beherrscht das Denken auch derjenigen, die ihn für den Erfinder der Spielkarte halten.

So fände ich es besser, wenn der Versuch einer Definition von "joy of use" unterbliebe, weil er dem Anliegen schadet. Manches regelt sich besser, wenn es nicht geregelt wird. Nach dieser Maxime handeln nicht etwa Chaoten, sondern gerade diejenigen, die Ordnung und Disziplin schaffen wollen, die Juristen. Sie benutzen Begriffe wie "Stand der Technik" oder "Stand der Baukunst" mit Absicht in diffuser Form, als unbestimmter Rechtsbegriff. Und den letzten, Stand der Baukunst, haben wir von einem Staat geerbt, der als Soldatenstaat in die Geschichte eingegangen ist, Preußen. Das Bemühen um Ordnung, wo keine zu finden ist, hingegen endet nicht selten in Unordnung unvorstellbaren Maßes.

Ich würde gerne noch mehr zum Thema "joy of use" hören, weil Spaß eine verdammt ernste Sache ist.

Freundliche Grüße, Cakir


SW-Ergo-News 1037
Von: Guenter Hellbardt, 27.02.2003, Betreff: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Ahmet Cakir schrieb:
Ich würde gerne noch mehr zum Thema "joy of use" hören, weil Spaß eine verdammt ernste Sache ist.

... und so ist es, liebe Freundinnen und Freunde, die Ihr Spaß an Eurer Arbeit habt!

Nachdem Herr Cakir so gelassen und vernünftig das Wesentliche gesagt hat zum Diktum von Marc Hassenzahl: "...warum sollte man nach einiger zeit der diskussion nicht auch ein modell erstellen können, das den "spassfaktor" beschreibt UND messbar macht?" kann ich der Diskussion wohl nicht mehr schaden, wenn ich gestehe, sehr viel emotionaler, mit wenig Spaß, auf diese Bemerkung reagiert zu haben. Wann endlich wird es sich herum gesprochen haben unter uns Pfarrertöchtern - Informatikern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern (ich bin Physiker von Haus aus) und, ja, auch Psychologen - dass das, was wir an unseren Modellen rechnen und messen, nicht die Welt ist, sondern eben ein Konstrukt unserer Definitionen, Rechnungen, Messungen, Vorstellungen, mithin ein Modell ist und bleibt. Also, ja, man kann einen "Spaßfaktor" definieren, messen, rechnen, aber er umfasst nicht das, was Spaß ist. Schlimmer noch, die Industrie wird ihre Produkte auf einen maximalen "Spaßfaktor" trimmen und diese Produkte werden uns konditionieren, darauf positiv zu reagieren - ohne Spaß, aber mit messbarem Spaßfaktor und optimalem Kaufanreiz für weitere "Spaßfaktor-Produkte". Das sind wir dann: Unser eigenes Konstrukt! Die Expropriation funktioniert anders, Herr Marx - als Selbstentäußerung der Konstrukteure bei höchstem "Lebensstandard".

Ciao, Günter Hellbardt


SW-Ergo-News 1038
Frieder Nake, 27.02.2003, Betreff: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Gratulation, lieber Ahmet Cakir,

fuer die schoenen, engagierten, aufklaerenden und doch so unaufgeregten Worte zum Definitionswahn, der in unseren Kreisen herrscht. Doch, ja, es ist schoen, zu lesen, dass wir manches so lassen sollen, lassen muessen, dass es interpretiert werden kann und muss.

Danke. Frieder Nake

(Da gab es mal in den 80ern einen Aufsatz zur Orientierung an Gebrauchswerten bei Software-Gestaltung.)


SW-Ergo-News 1039
Frieder Nake, 27.02.2003, Betreff: Freude, schoene Software!

Liebe Ergonomisten,

da muss ich doch ein Wort einfliessen lassen, zum Austausch ueber Joy of Use! Einiges ging hin und her, schoen knapp, schoen klar. Ahmet Cakir, alt gedienter und beschlagener Pionier, hat sich geaeussert, fast weise schon und skeptisch: Man koenne den Begriff, das Wort vom Joy of Use nicht definieren, solle es wohl lieber gar nicht, es sei mit Absicht diffus gewaehlt.

Marc Hassenzahl aber, im Feld speziell beschlagen, aufstrebend beitragend, moechte das nicht gelten lassen. Warum, fragt er, wenn man ernsthaft eine Weile diskutiere, sich anstrenge, sollte es nicht gelingen, eine Definition zu geben, die den Spassfaktor nicht nur beschreibe (genau genug, koennen wir unterstellen), sondern sogar messen lasse. Schliesslich sei das sogar bei Usability gelungen.

Klar, gar keine Frage, wenn man will, jemand, eine Gruppe, dann kann man auch "Benutzungsfreude" oder so etwas (das Wort wird dann noch klug gewaehlt werden) als eine messbare Groesse definieren und ein Messverfahren dafuer vorschreiben. Wenn man will, geht das. Und wenn es gebraucht werden kann, dann wird sich das sogar durchsetzen.

Die Frage ist, ob man das auch soll. Ich wuerde es nicht wollen. Ist es nicht eine schoene Zielsetzung, den Umgang mit Software-Artefakten so gestalten zu wollen, dass die Leute dabei Freude empfinden, ohne dass jeder so genau sagen kann, was sage ich: ohne dass an einem Freudometer abgemessen werden koenne, wie sehr er sich nun freut? Die Freude sieht man am Gesicht und an der Koerperhaltung. Die Freude ist schon ziemlich dialektisch. Recht komplex, oder nicht? Ich wuerde mich freuen, wenn sehr vieles dessen, was die Gestaltung des Umgangs mit Software betrifft, unter der Leitidee stuende, die Menschen sollten sich dabei freuen.

Frieder Nake


SW-Ergo-News 1040
Clemens Lutsch, 27.02.2003, Betreff: Re: 1035, 1030 Diskussion: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Liebe Kollegen,

Vielleicht liegt der "Knackpunkt" in der Diskussion um die Frage der Definierbarkeit von "Joy of Use" einfach am Typ des strittigen Themas. Im Gegensatz zu "Usability" oder Benutzungsfreundlichkeit (ein typisch deutsches Unwort... bei all seiner Mangelhaftigkeit zutreffend ;-) ist Joy of Use ein "Arbeits-Paradigma". Also ein Konstrukt aus vielen einzelnen Konzepten, die für sich genommen auch empirischen, technischen Verfahren zugänglich sind. Dieses Konstrukt als Paradigma zu begreifen eröffnet zahlreichen Forschern und Entwicklern die Möglichkeit, sich mit "Joy of Use" konstruktiv zu beschäftigen, ohne ständig überprüfen zu müssen, welche Kriterien im einzelnen eingehalten werden müssen. In der Tat erübrigt sich bei einem Paradigma eine _exakte_ Definition, wenn man im Gegenzug angeben kann, was bei einer prüfenden Betrachtung Gegenstand der Evaluation oder ggf. der kreative Inhalt ist. Paradigmen wie "Joy of Use" oder verwandte Terminologien wie "Playability" und "Entertainability" sind (zwar nicht mit diesen Worten) schon lange Gegenstand durchaus empirischer Evaluationen der Spiel- und Unterhaltungsindustrie. Ich habe nix dagegen einzuwenden, wenn ein kleiner Paradigmenwandel in Richtung "ernster" Anwendungen stattfindet ;-)

Grüße, Clemens Lutsch


SW-Ergo-News 1043
Ahmet Cakir, 27.02.2003, Betreff: Re: 1040, 1035, 1030 Diskussion

Clemens Lutsch schrieb am 27.02.2003:
Paradigmen wie "Joy of Use" oder verwandte Terminologien wie "Playability" und "Entertainability" sind (zwar nicht mit diesen Worten) schon lange Gegenstand durchaus empirischer Evaluationen der Spiel- und Unterhaltungsindustrie. Ich habe nix dagegen einzuwenden, wenn ein kleiner Paradigmenwandel in Richtung "ernster" Anwendungen stattfindet ;-)

Ob "joy of use" ein Paradigma ist? Und ob das Hinwenden in Richtung "ernster" Anwendungen einen Paradigmenwechsel bedeutet? Ich habe so meine Zweifel. Ich kannte zwei Menschen, die sich fast nur mit dem Ernst des Lebens beschäftigt haben. Beide haben bis einige Tage vor ihrem Tode mit 71 bzw. 81 Jahren gearbeitet. Die Arbeit verschaffte ihnen so viel Befriedigung, dass der eine nie Urlaub gemacht hat und der andere, wenn es unbedingt sein musste. Ich bin mit einem Komiker befreundet, dem das Leben soviel Spaß zu machen scheint, dass er die halbe Republik an seinem Vergnügen teilhaben lässt. Indes, allzu vergnüglich fand er das Leben nie. In welches Kästchen würde ein Empiriker wohl die ersten beiden stecken, wenn er eine Methode erfunden hätte, um "joy of dingbums" zu skalieren und Empfindungen zu klassifizieren? Würde mein Freund in die Kästchen weiter spaßwärts oder umgekehrt gestopft werden?

Wenn es darum geht, dass das Nutzen eines Objekts nicht nur funktionalen Zielen untergeordnet sein soll, sondern auch dem Nutzer positive Empfindungen bescheren, brauchen wir keinen Paradigmenwechsel. Die Industriesoziologie und die Arbeitspsychologie haben diesbezügliche Konzepte schon längst produziert. Wenn man aber in der Ergonomie von Spielzeugherstellern oder Spielmaschinendesignern lernen soll, wäre dies ein Riesenfortschritt. Während nämlich firmeneigene Software-Entwickler in dem User nicht selten den DAU vermuten, versuchen die anderen den "Nimm mich"-Faktor zu ergründen, um dem Benutzer zu schmeicheln.

Dennoch sei noch einmal davor gewarnt, Methoden aus anderen Bereichen in Richtung "ernsthafter" Anwendungen zu übertragen. Die sind weitgehend auf kurzfristige Interessen ausgerichtet (z.B. ich will wissen, was "Das schönste Weiß meines Lebens" bedeutet.) und die damit ermittelten Wertvorstellungen zerfallen zuweilen schneller als Sandburgen im Regen.

Das macht überhaupt nichts, wenn man keine langfristigen Interessen damit verbindet. Man baut eben eine neue Sandburg, wenn die Sonne wieder scheint, und freut sich, dass man die alte hat nicht selber plätten müssen. Anders bei professionellen Anwendungen. Man schafft Artefakte, die einen Jahrzehnte belasten können. So beschäftigen sich EDV-Leute in Unternehmen hauptsächlich mit Altlasten bzw. derer Folgen. Da vergeht einem der Spaß schnell und gründlich.

Viel Spaß, Cakir


SW-Ergo-News 1044
Jürgen Ziegler, 27.02.2003, Betreff: Re: 1040, 1035, 1030 Diskussion

Liebe Pro-und-Antagonisten von Joy-of-Use,

offensichtlich bislang unbemerkt von den allermeisten hat sich ein Faktor/Prinzip, der/das nicht auf rein kognitive Aspekte bezogen ist, sogar in das vermeintlich bürokratische Reich der internationalen Standardisierung eingeschmuggelt, ordentlich abgesegnet von allen abstimmenden Mitgliedsländern. Der neue Standard ISO 14915-1 "Software ergonomics for multimedia user interfaces - design principles and framework", der Ende 2002 erschienen ist, führt in Ergänzung zu den bekannten Dialogprinzipien aus 9241-10, die wahrscheinlich jeder von Ihnen auch dann noch aufsagen kann, wenn er nachts aus dem Schlaf gerissen wird, vier weitere Prinzipien ein: suitability for the communication goal, suitability for perception, suitability for exploration und *** suitability for engagement ***. Diese Prinzipien freuen auch Leute wie Web-Designer, Werber oder Spieleentwickler, obwohl die letzteren nicht explizit im Scope des Standards sind.

Der Begriff Engagement, der inzwischen fast so alt wie das Feld HCI ist (s. Norman/Draper-Buch 86) bezieht sich vorrangig auf die motivationalen Aspekte der Interaktion, ist aber m.E. auch sehr eng mit Emotion gekoppelt. Mit der deutschen Übersetzung haben wir uns da sehr schwer getan, uns schießlich aber für "Benutzungsmotivation" entschieden. Im Englischen hat der Begriff ein sehr weites semantisches Feld, wie bei jedem software-ergonomischen Prinzip ist aber weniger die Benennung des Prinzips selbst, sondern die Methoden zu seiner Operationalisierung und die Einigung darauf das Problem. Eine entsprechende Umsetzung scheint mir bei "Engagement" durchaus möglich zu sein, obwohl sicher noch zu wenig in dieser Hinsicht getan wurde (wer übrigens inzwischen die ultimative Methode zur Überprüfung von Aufgabenangemessenheit kennt, möge mir dies dringend mitteilen).

Ich denke, dass man mit dem Begriff Engagement eine ganz gute Diskussionbasis hat und diesen auch in geeignete (Sub-)Kriterien und Überprüfungsmethoden umsetzen kann. Ob das dann deckungsgleich mit Joy(=Fun??) oder Spaß(=Freude??) ist, scheint mir nicht primär wichtig (bin mir doch sehr unsicher, ob die Spaßgesellschaft auch eine Freudengesellschaft ist!). Das Wörterbuch jedenfalls zeigt auch so schöne Beispiele wie "an engaging smile" als "ein gewinnendes Lächeln". Systementwickler, die versuchen, die Nutzer für ihr System zu gewinnen, das wäre doch schon sehr viel...

Herzlichen Gruß, Jürgen Ziegler

(ganz zufällig series editor ISO 14915)


SW-Ergo-News 1045
Michael Hatscher, 27.02.2003, Betreff: Re: 1040, 1035, 1030 Diskussion: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Liebe KollegInnen,

als ebenfalls einer von denen, die sich forschend mit Joy of Use beschäftigt haben, möchte ich doch auch noch etwas zu der Diskussion beitragen.

Meine Diplomarbeit zum Thema "Joy of use - Determinanten der Freude bei der Softwarenutzung" hatte genau das zum Ziel, was einige Listenteilnehmer als unmöglich bezeichnen - den Versuch einer Definition dieses flüchtigen Phänomens zu liefern und ggf. Einflussgrößen auf die subjektiv wahrgenommene Freude beim Umgang mit Software zu identifizieren.

Nach einer Reihe von Interviews (neun) mit Experten aus den beteiligten Disziplinen (Informatik, Psychologie, Grafik-Design, Industrie-Design, darunter als Teilnehmer an dieser Diskussion u.a. auch Frieder Nake und Marc Hassenzahl) war ich um einiges schlauer, aber die Definition wurde nicht einfacher. Die verschiedenen Überzeugungen liefen doch zu weit auseinander. Mein Definitionsversuch lief dann auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus:

"Joy of use eines Software-Produkts ist das freudvoll-genussreiche Erleben der Qualität der Interaktion und der Möglichkeiten, die sich für einen bestimmten Nutzer in einem bestimmten Kontext als Folge des überwiegend unauffälligen, hervorragenden Funktionierens und aufgrund der den Nutzer ästhetisch ansprechenden Gestaltung durch motivierten und den Zielen und Interessen des Nutzers entsprechenden Gebrauch der Software manifestiert.

Um joy of use auslösen zu können, muss die Software formalästhetische und zeichenhafte Funktionen des Design (wie das für den Nutzer und seine Interessen stimmige Verhältnis von Komplexität und Ordnung, eine für ihn sinnhafte Kombination von Anzeichen- und Symbolfunktionen) und Grundsätze der Ergonomie (wie Erlernbarkeit, Unterstützung, minimale zusätzliche mentale Belastung) in einem noch näher zu spezifizierenden Verhältnis zueinander erfüllen."

Dass es keine generellen "Spaßfaktoren" geben könne, war mir spätestens zu diesem Zeitpunkt klar. Die Dinge, die Freude auslösen können, sind zu persönlich unterschiedlich ausgeprägt, und ebenso wie Ease of Use durch den Kontext beeinflusst wird, wird auch Joy of Use stark geprägt durch die Umgebung. In diesen Punkten ist die Definition sehr nah an der Usability-Definition nach ISO 9241-11.

Allerdings geht Joy of Use nach meinem Verständnis deutlich weiter. Ease of Use bedeutet: etwas ist akzeptabel und stellt zufrieden. Joy of use heißt: etwas ist nicht nur in Ordnung, sondern wirklich außergewöhnlich, sorgt dafür, dass ich gern und viel damit arbeite und bei der Nutzung unerwarteten, mich herausfordernden und damit Flow auslösenden Momenten begegne. Es ist die alte Frage nach Reduktion von Stress (Vermindern "negativer" Emotionen) vs. Induktion von Freude (Bahnen "positiver" Emotionen). Nach meinem Empfinden geht die ISO 9241-11 nicht weit genug, weil sie bei der "Zufriedenheit" stehen bleibt, d.h. gerade einmal Unzufriedenheit zu verhindern sucht. Emotionspsychologisch gesehen, ist Zufriedenheit aber eine viel schwächere Emotion, die von einigen Autoren (Ortony, Clore und Collins, 1988; Kleinginna und Kleinginna, 1981) auch eher als kognitiv gesehen wird, während Freude eine starke, affektive Emotion darstellt.

Was sagt uns das jetzt? Joy of Use hat - nach meinen Ergebnissen - bestimmte Einflussgrößen. Joy of Use ist definierbar - wenn man die Zielgruppen sehr genau schneidet. (Wahrscheinlich gibt es mindestens drei Definitionen von Joy of Use, abhängig z.B. vom Expertisegrad der Nutzer - oder auch anderen Parametern.) In diesem Fall ist Joy of Use auch in Produkte hinein konstruierbar - wenn man die Einflussgrößen (visuelles Design etc., Schwierigkeitsniveau der Interaktion) zielgruppengerecht ausgestaltet und ansonsten die Grundzüge nutzerzentrierter und ergonomischer Gestaltung nicht außer Acht lässt.

Viele Grüße, Michael Hatscher


SW-Ergo-News 1047
Philip Zerweck, 09.03.2003, Betreff: Re: 1045, 1040, 1035, 1030 Diskussion: schlechte nachrichten: joy of use nicht definierbar

Liebe Diskutanten,

Ich möchte, ohne direkt auf die interessanten, vorangegangenen Beiträge einzugehen, etwas aus meinem Berufsfeld beitragen. Als ausgebildeter Produkt- und Grafikdesigner stellt sich mir die Diskussion vielleicht aus einem anderen Blickwinkel dar.

Aus den Bereichen der Designtheorie und -geschichte ist die hier geführte Diskussion in ihrem Verlauf und ihrer Argumentation bekannt, auch wenn die Begriffe andere waren, z.B. Funktion, Ergonomie, System, Gute Form etc.

Manchmal wurde auch versucht, negative Begriffe zu definieren, also Begriffe, die das zu Vermeidende repräsentieren; z.B. durch Adolf Loos: "Ornament und Verbrechen" (1909). Im Grunde ging es immer darum, herauszufinden, was ein gutes von einem schlechten Produkt / Design unterscheidet.

Es geht also um Qualität. Wollen wir diese jedoch definieren, und zwar sowohl als Wort / Begriff, als auch als Masstab, d.h. als messbare Größe, so wird Qualität immer als Summe einer Menge anderer Begriffe dargestellt werden. Diese Menge an Begriffen variiert nun durch Zeitgeist und Anwendungsfeld; "Joy of Use" war in der Architektur bisher sicher kein Leitmotiv, könnte es aber in diesem Jahrzehnt werden. Die Designtheorie, beeinflußt durch die moderne Systemtheorie, erkennt hier nun mehrere Implikationen.

  • Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile: Die Unterkriterien des Kriteriums Qualität (mal angenommen diese wären vollständig beschreibbar) verhalten sich zueinander chaotisch: die gegenseitige Beeinflussung ist nicht als einfache Summierung beschreibbar. Was sich einmal als positiv erweist, wirkt sich ein anderes mal negativ aus!
  • Definieren läßt sich nur Vergangenes: Die Beschreibung und Definition des technisch kulturellen Systems von Artefakten und ihren Protagonisten - Machern ebenso wie Nutzern - ist nur rückblickend möglich. Da sich Werte und Einstellungen der Protagonisten ändern und zwar auch durch die Einflußnahme der Artefakte, welche auf das jeweilige System abheben, ist kein Kriterium denkbar, was uns beim Machen die Bewertung des Zukünftigen ermöglicht.
  • Wir, die wir beschreiben, definieren, untersuchen, designen etc. sind Bestandteil des Systems. Wir können keine Sicht auf das System als Ganzes gewinnen. Welche Begriffe wir also unter Qualität subsummieren und wie diese definiert sind, ist nicht nur systembeschreibend, sondern Ergebnis das Systems. Meist wird in Ermangelung der Einsicht in die eigene Beschränktheit das gerade neueste Kriterium (Heureka - jetzt aber endlich Gewissheit!) überbewertet. Das Ergebniss sind ideologisch geführte Scheingefechte zwischen Neuerern und Beharrern. Ein hervorragendes Beispiel sind die 60er / 70er Jahre, mit den zum Teil persönlich diffamierenden Diskussionen um die Moderne und deren vermeintlicher Überwindung.
  • Das Problem der reinen Lehre: Die erhellende Diskussion um Kriterien für Qualität, um Verständis des Vergangenen, um innere Zusammenhänge des Systems, um Definitionen zum gegenseitigen Verständnis, schützt die Beteiligten vor Selbstverständnis. Hiermit ist gemeint, daß die Beteiligten um das skizzenhafte Wesen der gefundenen Kriterien / Definitionen wissen; trotzdem sind diese hilfreich. Die Nachfolger jedoch, "Schüler" oder noch extremer "Apostel", meist Menschen die den leichten Weg wählen, meinen durch die Übernahme von diesen Begriffen Gewissheit zu erlangen. Sie verteidigen diese häufig mit einer Ernsthaftigkeit (im Angedenken der verehrten Lehrer/innen) und Verve, die die als Krücken für Fortkommen gedachten Begriffe überstrapazieren und zementieren. Hier schleicht sich dann der Fehler ein, einen Maßstab für die Erklärung des Seienden und zur Erhellung dessen was getan wurde, zu einer Messlatte des zu Tugenden umzufunktionieren.

Weitere Problemlagen sind aus dem Vorangegangenen ersichtlich.

Fazit: Die Diskussion um Begriffe, deren Bedeutung und Überprüfbarkeit ist nicht nur fruchtbar, sondern auch notwendig, um zu verstehen warum was wann in welchem Kontext mit welchem Ergebniss gemacht wurde. Erkenntnis lässt sich jedoch nicht durch die Erstellung von Kriterien und der Messung deren numerischer Erfüllung gewinnen. Bei der Gestaltung von Software, Interfaces etc. kommt es wie bei allen Artefakten darauf an, ein Verständis zu entwickeln und aus diesem heraus, die systemimmanente Unsicherheit akzeptierend, Neues zu wagen. Hierbei ist die immer wieder notwendige Interpretation der gefundenen Kriterien mindestens ebenso entscheidend, wie die Kriterien selber. In der Designgeschichte können wir sehen, daß die zeitgeistige Vereinnahmung respektive Redefinition des Begriffs "Funktion" ausschlaggebender war, als die philosophische und begriffliche Herleitung. "Form Follows Function" wurde für fast jede These und Gegenthese des 20ten Jahrhunderts ge- bzw. mißbraucht und zwar nicht in Unwissenheit, sondern mit voller Kentniss der Historie des Funktionalismus samt Wurzeln. In den Schriften von Louis H. Sullivan ("Form ever Follows Function" stammt aus dem Artikel "On the Tall Office Building", 1896) steht im übrigen viel lesenswertes über "Joy of Use", wenn auch in anderen Worten.

Viele Grüße, Philip Zerweck


SW-Ergo-News 1054
Marc Hassenzahl, 23.03.2003, Betreff: Nachtrag zum "joy"

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Hier noch ein kleiner Nachtrag zu dem "joy of use"-Thema.

Man schaue sich mal die vieldiskutierte Website http://www.usabilitymustdie.com an. Besonders zu denken gab mir der Kommentar "Usability cult sacrifices innovation" (http://www.itweek.co.uk/Analysis/1132275) in "IT week".

Möchten wir als "usability professionals" wirklich so wahrgenommen werden? Gegen Innovation, gegen Spass und Kreativität, ohne Blick auf die "wahren" Bedürfnisse der Benutzers (weil wir objektive Methoden bevorzugen), sondern als "Diagnostiker", die in einer Welt voller Probleme, diese finden und sie beheben?

In der Psychologie gibt es eine Bewegung zur "positiven" Psychologie (z.B. http://www.psych.upenn.edu/seligman/apintro.htm), einer Psychologie, die sich mit den positiven Seiten des Lebens und nicht alleine mit den problematischen, negativen beschäftigt. Die Abwesenheit von Krankheit - so wird argumentiert - ist noch lange keine Gesundheit. Analog: die Abwesenheit von Problemen, macht noch lange kein attraktives Produkt.

Dementsprechend ist die Diskussion um "joy of use" wohl nicht nur inhaltlich wichtig (was macht den nun ein attraktives Produkt?), sondern auch in Hinblick auf die Disziplin "usability engineering" von strategischer Bedeutung.

Grüsse aus Darmstadt Marc Hassenzahl


SW-Ergo-News 1056
Ahmet Cakir, 06.04.2003, Betreff: Re: 1054 Nachtrag zum "joy"

Marc Hassenzahl schrieb am 23.03.2003:
Analog: die Abwesenheit von Problemen, macht noch lange kein attraktives Produkt.

Oder: Frustverlust ist noch lange kein Lustgewinn!

Mit freundlichen Grüßen, Cakir


SW-Ergo-News 1058
Ulrike Daldrup, 06.04.2003, Betreff: Re: 1054 Nachtrag zum "joy"

Lieber MitdenkerInnen!

Ich wage einen anderen "Blick auf die wahren Bedürfnisse der BenutzerInnen", als Marc Hassenzahl!

Als Software-Ergonomin oder Usability-Engineer, nein, eigentlich nur als Dialogprozessbegleiterin, die dem Dialogprozess, dem miteinander Denken im Dialog vertraut, basiert mein methodischen Vorgehen im Gestaltungsprozess auf folgenden Kernfähigkeiten:

  1. Haltung eines Lernenden verkörpern,
  2. Von Herzen sprechen,
  3. Radikalen Respekt für den Gesprächspartner zeigen,
  4. Offen sein für neue Ideen und Meinungen,
  5. Zuhören ohne zu Urteilen,
  6. Verlangsamung zulassen,
  7. Annahmen und Bewertungen suspendieren,
  8. Produktiv plädieren,
  9. eine erkundende Haltung einnehmen,
  10. die eigenen Gedanken beobachten und Überzeugungen und Haltungen auf den Grund gehen.

Nachzulesen bei Freeman Dhority und Martina und Johannes Hartkemeyer: "Miteinander Denken. Das Geheimnis des Dialogs."

Linda Ellinor und Glenna Gerad "Der Dialog im Unternehmen" beschreiben es so: Gemeinsame Bedeutung und Lernen ins Zentrum stellen, Freimachen von den Bedürfnissen nach einem konkreten Ergebnis, Ohne inneren Widerstand zuhören, Unterschiede respektieren, Funktion und Status in der Schwebe halten, Verantwortung und Führungsfunktion teilen, etc...

Wer es wagt, sich wirklich auf diesen Prozess einzulassen, wird erleben, dass Achtsamkeit vor Methode kommt.

Ja!! Es lohnt sich!

Herzlichen Gruß, Ulrike Daldrup