Abstract
Zwei Zeitfacetten duerften Online-Nutzern vertraut sein.
Einerseits kann der Rezeptionsakt als fesselnde Taetigkeit erlebt
werden und man ist im nachhinein erstaunt, wie schnell die Zeit
vergangen ist. Andererseits kann das Zeitempfinden arg
verlangsamt werden, insbesondere dann, wenn angewaehlte Dateien
nicht 'schnell genug' geliefert werden. Beide Zeitwahrnehmungen
beeinflussen das Navigationsverhalten vermutlich nachhaltig. Doch
woran liegt das?
Um probeweise eine Antwort zu finden, werden in dem Vortrag in
einem ersten Schritt ausgewaehlte Theorien und Befunde zur
Zeitwahrnehmung zusammengetragen. Aus der Forschung zur
Mensch-Computer Interaktion sind die Bedingungen bekannt, unter
denen Wartezeit zu psychischen Beanspruchungen fuehrt; auch fuer
die angedeutete Kurzweil gibt es plausible Erklaerungen.
In einem zweiten Schritt soll dann der Blick auf den Begriff
'psychische Praesenzzeit' gerichtet werden. Dieser Begriff, Ende
des 19. Jahrhunderts von William Stern in den Diskurs der
wissenschaftlichen Psychologie eingefuehrt, rekurriert auf die
subjektive Gegenwart und fasst diese als eine in ununterbrochener
Verschiebung befindliche kleine Zeitstrecke auf. In den letzten
Jahrzehnten wurde dieser Gedanke von Ernst Poeppel als sogenannte
Drei-Sekunden-Segmentierung des Erlebens neu aufgegriffen und mit
einem universalen, zeitlich begrenzten Integrationsmechanismus
des Gehirns begruendet. Untermauert wird diese Annahme durch
empirische Evidenz in unterschiedlichen experimentellen Paradigmen
in unterschiedlichen Bereichen.
In Anlehnung an gedaechtnistheoretische und neuropsychologische
Ueberlegungen wird dann in einem dritten Schritt eine modellhafte
Skizze dieses als kognitive Rahmenbedingung angenommenen
Zeitfensters entworfen, die es erlauben soll, den Begriff
psychische Praesenzzeit fuer die Erforschung des
Nutzungsverhaltens bei Online-Medien fruchtbar zu machen.
Es werden erste Ergebnisse eigener laborexperimenteller und
internetbasierter Studien, die den Zusammenhang
Praesenzzeit/Online-Rezeption untersuchen, praesentiert.
Stichworte: Zeitwahrnehmung, Online-Medien, Mediennutzungsverhalten