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  Herbert A. Meyer

Meyer, H.A. (1993). Das Vergangene ist nie tot. Wann kommt es bei indirekten Behaltensprüfungen zur intentionalen Nutzung vorangegangener Erfahrungen? Vortrag auf der 35. Tagung experimentell arbeitender Psychologen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

  • Zusammenfassung

    Sowohl bei direkten als auch bei indirekten Behaltensprüfungen werden zunächst eine Studier- und dann eine Prüfphase absolviert. Der prinzipielle Unterschied besteht in der Instruktion vor der Prüfphase: Während bei direkten Prüfungen der Bezug auf die Lernphase ausdrücklich verlangt wird, wird dieser Bezug bei indirekten Prüfungen ausgeblendet. Bei direkten Prüfungen wird also ein "Vergangenheitsbezug" hergestellt, bei indirekten Prüfungen soll dieser möglichst vermieden werden. Von verschiedenen Autoren ist jedoch darauf hingewiesen worden, daß bei indirekten Behaltensprüfungen entgegen der Instruktion die Möglichkeit besteht, gezielt auf spezifische Erfahrungen während der Studierphase zurückzugreifen.

    In einer bereits abgeschlossenen Untersuchung zur funktionalen Dissoziation zwischen direkt und indirekt erfaßten Prüfleistungen konnte übereinstimmend mit ähnlich gelagerten Untersuchungen festgestellt werden, daß die Enkodierung in der Studierphase (perzeptuell vs. konzeptuell) die Wiedererkennung (direkter Test) stark beeinflußte, den Primingeffekt (indirekter Test) jedoch unbeeinflußt ließ. Führte man den indirekten Test unter geteilter Aufmerksamkeit durch, änderte sich das Bild. Während der Primingeffekt infolge perzeptueller Enkodierung robust gegenüber den Aufmerksamkeitsbedingungen war, kam es beim konzeptuellen Primingeffekt zu einem drastischen Einbruch unter der geteilten Aufmerksamkeitsbedingung. Werden also bestimmte Prozesse beim indirekten Test ausgegrenzt, kann das Zusammenspiel von direkten und indirekten Behaltensleistungen als "cross-over" Dissoziation beschrieben werden. Diese wird durch das Prinzip der Enkodierungsspezifität hinreichend erklärt.

    In der zu berichtenden Untersuchung beschäftigten wir uns mit der Herkunft der als störbar demonstrierten Prozesse beim konzeptuellen Priming. Geprüft wurde die Hypothese, daß der konzeptuelle Primingeffekt im Gegensatz zum perzeptuellen Primingeffekt von Nutzungprozessen abhängig ist, die sich auf die Studierphase beziehen. Falls der konzeptuelle Primingeffekt von solchen Nutzungsprozessen abhängig ist, sollte ein Offenlegen der Beziehung zwischen Studier- und Prüfphase die Größe des Effekts nicht verändern. Dahingegen sollten beim perzeptuellen Priming durch induzierten "Vergangenheitsbezug" zusätzlich hinzukommende intentionale Prozesse den Effekt vergrößern. Die Untersuchung wurde wie folgt durchgeführt. In der Studierphase wurden Wörter auditiv dargeboten und sollten perzeptuell oder konzeptuell enkodiert werden (Faktor "Enkodierung"). Anschließend wurde der indirekte Behaltenstest bei voller Aufmerksamkeit durchgeführt; dabei sollten möglichst viele verrauschte Wörter erkannt und aufgeschrieben werden. Der Faktor "Vergangenheitsbezug" wurde durch unterschiedliche Instruktionen variiert. Es wurde ein allgemeiner Hinweis auf die Beziehung zwischen Studier- und Prüfphase gegeben, wobei die Hälfte der Probanden die Zusatzaufgabe bekamen, den Hinweis in Verhalten umzusetzen. Sie sollten erkannte Wörter nicht nur aufschreiben, sondern zusätzlich ein Wiedererkennungsurteil abgeben, d.h. die aus der Studierphase wiederholten Wörter markieren. Als Ergebnis zeigte sich eine Interaktion zwischen beiden Faktoren. Der Primingeffekt aufgrund perzeptueller Enkodierung profitierte in erheblichem Ausmaß von dem aktiven Vergangenheitsbezug, wohingegen der konzeptuelle Primingeffekt in dieser Hinsicht keinerlei Wirkung zeigte. Die Ergebnisse weisen darauf hin, daß nach konzeptueller Enkodierung während der indirekten Behaltensprüfung regelmäßig ein bewußter Rückgriff auf die Studierphase stattfindet, wohingegen dieser Rückgriff nach perzeptueller Enkodierung in einem weitaus geringeren Ausmaß zu verzeichnen ist. Jedoch ist der Rückgriff auch in dieser Bedingung möglich.

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